Nihilismus

Nihilismus
Ni|hi|lịs|mus 〈m.; -; unz.〉 Überzeugung von der Nichtigkeit u. Sinnlosigkeit alles Seienden, Verneinung aller Werte u. Ziele [neulat.; zu lat. nihil „nichts“]

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Ni|hi|lịs|mus, der; - [zu lat. nihil = nichts] (bildungsspr.):
a) philosophische Anschauung von der Nichtigkeit, Sinnlosigkeit alles Bestehenden, des Seienden;
b) weltanschauliche Haltung, die alle positiven Zielsetzungen, Ideale, Werte ablehnt; völlige Verneinung aller Normen u. Werte.

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I
Nihilismus,
 
philosophische Anschauung von der Nichtigkeit, Sinnlosigkeit alles Bestehenden.
 
II
Nihilismus,
 
weltanschauliche Haltung, die alle positiven Zielsetzungen, Ideale und Werte ablehnt.
 
III
Nihilịsmus
 
[zu lateinisch nihil »nichts«] der, -, allgemein jeder Standpunkt, der auf der absoluten Verneinung bestehender Glaubenssätze, der Möglichkeit allgemein gültiger Erkenntnis, sozialer und politischer Verhältnisse oder einer Wertordnung beruht.
 
Obwohl der Ausdruck »nihilisti« schon bei Augustinus zur Bezeichnung der Nichtgläubigen Verwendung fand, wurde der Begriff Nihilismus erst bei F. H. Jacobi in die philosophische Diskussion eingeführt, wo er der negativen Interpretation idealistischer Positionen diente. Im konsequenten Idealismus J. G. Fichtes, der alle »Sachen« als Setzungen des absoluten Ichs begreift, löste sich Jacobi zufolge dem Menschen alles »allmählig auf in sein eigenes Nichts«. Zu einem allgemeinen verbreiteten Ausdruck wurde Nihilismus erst durch I. Turgenjews Roman »Väter und Söhne« (1861), der ihn in einem politischen Sinn auf die russischen Revolutionäre, die sich als Anarchisten ansahen, anwendete. Im Anschluss an diesen Roman übernahmen ihn die sozialkritischen russischen Anarchisten als Selbstbezeichnung.
 
F. Nietzsche legte als Erster eine umfassende nihilistische Deutung der gesamten abendländischen Philosophiegeschichte vor. Sowohl bei Platon als auch im Christentum besteht Nietzsche zufolge ein Dualismus, da der »wahren« Welt der Ideen, die ewig und unveränderlich ist, die »scheinbare« Welt des Werdens und der Vergänglichkeit gegenübersteht. So interpretierte er auch die Geschichte des Abendlands als eine Verfallsgeschichte, eine Bewegung der Décadence, in der die ursprünglich unabhängig vom Menschen gedachten Werte ihre Geltung und Gültigkeit verlieren. Nihilismus meinte demnach zum einen die Entwertung der bisherigen obersten Werte und schloss zum anderen die »Umwertung aller bisherigen Werte« ein.
 
Nietzsches Deutung des Nihilismus übte seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine große Wirkung aus, v. a. auf den Expressionismus (u. a. G. Benn, J. van Hoddis, G. Heym, G. Kaiser, C. Sternheim, F. Kafka). Der Nihilismusbegriff wurde zur geistesgeschichtlichen Grundhaltung des Kulturpessimismus dieser Epoche, in dem die Orientierungs- und »transzendentale Obdachlosigkeit« der modernen Zivilisation literarisch-künstlerisch zum Ausdruck gelangte. Benn versuchte dem Wertzerfall mit einer künstlerisch-ästhetischen Gestaltung, dem Ideal der »absoluten Prosa«, zu begegnen.
 
In der Existenzphilosophie untersuchte K. Jaspers v. a. in der »Psychologie der Weltanschauungen« (1919) den Nihilismus und legte Versuche seiner Aufhebung vor. Jaspers zufolge ist der Nihilismus neben der »Dämonologie« und der »Menschenvergötterung« eine Gestalt der »Unphilosophie«, nämlich die der »offenen Glaubenslosigkeit« (z. B. in »Der philosophische Glaube«, 1948). Der Unglaube hat demzufolge sogar eine Wahrheit, da er im Übergang einen Zugang zum Glauben und zur Transzendenz ermöglicht. M. Heidegger legte gegen Nietzsche, der aus seiner Sicht den Nihilismus nicht überwand, sondern ihn zuallererst vollendete, eine »seinsgeschichtliche Bestimmung des Nihilismus« vor. Nihilismus meint nicht nur den Zustand, der durch eine Verfehlung des Denkens hervorgerufen wurde, sondern auch das Sichentziehen des Seins selbst. Die »Einkehr« in das Wesen des Nihilismus dadurch, dass wir dem Ausbleiben des Seins entgegendenken, »ist der erste Schritt, durch den wir den Nihilismus hinter uns lassen«. Im französischen Existenzialismus diente das Absurde als Grunderfahrung des Nihilismus (J.-P. Sartre, A. Camus). Obwohl hier einerseits die radikale Sinnlosigkeit und Absurdität der Welt und des menschlichen Verhaltens behauptet wird, tritt dem andererseits das Aushalten, die Auflehnung und das existenzielle »Engagement« gegenüber. In neuerer Zeit versucht W. Weischedel in seiner kritischen Darstellung des Wesens, des Aufstiegs und des Verfalls der philosophischen Theologie (in »Der Gott der Philosophen«, 1971-72, 2 Bände) eine »Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus« vorzunehmen.
 
 
Der N. als Phänomen der Geistesgesch. in der wiss. Diskussion unseres Jh., hg. v. D. Arendt (1974);
 W. X. Weier: N. Gesch., System, Kritik (1980);
 Lit. zum N., in: A. Kopf: Der Weg des N. von Friedrich Nietzsche bis zur Atombombe (1988);
 H.-J. Gawoll: N. u. Metaphysik (1989);
 B. Hillebrand: Ästhetik des N. Von der Romantik zum Modernismus (1991);
 J. W. Lee: Polit. Philosophie des N. (1992).
 

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Ni|hi|lịs|mus, der; - [zu lat. nihil = nichts] (bildungsspr.): a) philosophische Anschauung von der Nichtigkeit, Sinnlosigkeit alles Bestehenden, des Seienden; b) weltanschauliche Haltung, die alle positiven Zielsetzungen, Ideale, Werte ablehnt; völlige Verneinung aller Normen u. Werte.

Universal-Lexikon. 2012.

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